Oh man, Du stresst mich, hämmert es in meinem Kopf.

Es ist Ende Oktober, draußen wird es kühler, die Blätter färben sich und in den Supermärkten haben die Lebkuchen – mal wieder viel zu früh – Einzug gehalten. 

Während ich noch darüber nachdenke, ob es schon Zeit für Winterreifen ist, vibriert es in einer meiner WhatsApp-Gruppen mehr, als in einem aufgebrachten Bienenstock und die Spannung ist fast greifbar. 

Ich schaue auf das Display und lese eine Nachricht, die so geladen ist, dass sie locker das Stromnetz eines kleinen Dorfes versorgen könnte. 

Die Organisatorin einer Gruppe von Frauen, die zum wiederholten Mal gemeinsam einen Adventskalender vorbereiten, lässt ihrem Stress freien Lauf.

Noch 11 Tage und zwei Wochenenden liegen zwischen heute und dem vorgegebenen Abgabetermin für die selbstgemachten Kleinigkeiten – aber noch haben nicht alle ihre Sachen bei der Initiatorin abgegeben.

Und das macht ihr Stress. Und das macht mir Stress.

Bevor ich  jetzt den „Flugmodus“ aktiviere, lass uns einen Schritt zurücktreten. Denn diese Situation – so alltäglich sie auch erscheinen mag – gibt mir die Gelegenheit, einen tieferen Blick in die Mechanismen und Auswirkungen von selbstgemachtem Stress zu werfen. 

Was passiert eigentlich, wenn wir unserem Stress ungefiltert und unreflektiert die Bühne überlassen bei uns und bei anderen und wie kommt er überhaupt zustande? 

Der Ursprung des Stresses

Stress hat so viele Gesichter wie ein Kaleidoskop Farben. Mal ist er der Motor, der uns vorantreibt, mal der unsichtbare Rucksack, der uns erdrückt.

Manchmal geraten Menschen in Stress-Spiralen, die sich immer schneller drehen, bis sie jeden im Umfeld mitreißen. Aber woher kommt dieser Stress eigentlich? 

Termine: Die tickende Zeitbombe unserer To-Do-Liste

Termine sind wichtig. Sie strukturieren unseren Tag, unsere Woche, ja unser ganzes Leben. Aber sie können auch zu tickenden Zeitbomben werden, wenn wir ihnen erlauben, uns zu beherrschen. Der Countdown läuft, und jeder Tick der Uhr kann das Stresslevel erhöhen. Dann lässt jeder Tag, der verstreicht, ohne dass die „Mission“ erfüllt ist, die Uhr ein bisschen lauter ticken.

Perfektionismus: Die hohe Kunst, sich selbst im Weg zu stehen

Die Idee, dass alles perfekt sein muss, ist weit verbreitet. Perfektion kann motivieren, aber sie kann uns auch in eine Falle locken, aus der wir nur schwer wieder herauskommen. Das Streben nach Perfektion kann uns das Gefühl geben, nie gut genug zu sein und setzt Energie frei – aber leider nicht die, die man für entspannte Abende nutzen möchte.

Verantwortungsgefühl: Ein Rucksack, der uns alle begleitet

Verantwortung zu übernehmen ist generell etwas Positives. Aber wenn dieses Gefühl dazu führt, dass wir glauben, alles und jeden kontrollieren zu müssen, wird es zur Belastung. 

Klar wollen wir “die Dinge im Griff haben”. Aber die Wahrheit ist: Kontrolle ist oft nur eine Illusion. Wenn wir glauben, durch erhöhten Druck alles steuern zu können, übersehen wir leicht, dass es Faktoren gibt, die einfach außerhalb unserer Kontrolle liegen.

Und das führt  langfristig oft zu noch mehr Stress – für uns und für andere.

Erwartungen an andere: Das Rezept für Enttäuschungen

Manchmal sind es nicht die Erwartungen an uns selbst, die uns Stress bereiten, sondern die Erwartungen, die wir an andere haben. 

Wir projizieren unsere Arbeitsweise, unseren Ehrgeiz und unsere Vorstellungen auf unser Umfeld und sind enttäuscht, wenn die Dinge nicht nach Plan laufen. 

Dabei wird leider viel zu oft der eigene Maßstab, den wir an uns selbst stellen, auf alle Menschen übertragen.

Aber wir Mensch sind unterschiedlich – Gott sei Dank, wäre ja sonst auch ganz schön langweilig und es gäbe keine Innovationen mehr.

Was für uns funktioniert, muss für andere nicht gelten. Erwartungen an andere können so zu einer Falle werden, in der die Enttäuschung vorprogrammiert ist.

Erfolg und Zufall: Zwei Seiten einer Medaille

Wenn ein Projekt erfolgreich abgeschlossen ist, neigen wir dazu, diesen Erfolg uns selbst zuzuschreiben. Das ist natürlich verständlich und auch in Ordnung.

Problematisch wird es, wenn wir annehmen, dass der Erfolg nur durch unser Zutun entstanden ist und Zufälle oder die Leistungen anderer dabei keine Rolle spielen. Das kann zu unrealistischen Erwartungen für zukünftige Projekte führen und den Druck unnötig erhöhen.

Kognitive Verzerrung: Wenn der Spiegel nur die Schokoladenseite zeigt

Wir alle lieben Bestätigung, das ist kein Geheimnis. Doch hier tritt die kognitive Verzerrung auf den Plan. 

Sie sorgt dafür, dass wir selektiv nur die Informationen und Rückmeldungen wahrnehmen, die in unser Weltbild passen, unsere bestehenden Überzeugungen bestätigen oder unser Selbstbild stützen. 

So könnten wir in der Illusion leben, dass jeder Erfolg allein unser Verdienst ist, und übersehen dabei mögliche Stellschrauben für Verbesserungen oder das kollektive Engagement, das zum Erfolg beiträgt.

In diesem Sinne wird nicht nur der Druck für kommende Projekte erhöht, sondern die ganze Perspektive kann verzerrt sein.

Stress als soziales Phänomen: Wenn Unruhe ansteckend wird

Stress ist nicht nur ein individuelles, sondern auch ein kollektives Erlebnis. Wie ein Virus kann er sich in einer Gruppe verbreiten und für eine angespannte Atmosphäre sorgen. 

Die „Ansteckungsgefahr“ ist besonders hoch, wenn eine einzige Person ihre Sorgen, Ängste und den Drang nach Kontrolle offen oder subtil kommuniziert. 

So wird aus individuellem Stress schnell ein Gruppenphänomen.

Kehren wir doch nochmal in meine WhatsApp Gruppe zurück. Hier kommen nun regelmäßig Nachrichten, die wie ein Countdown die verbleibenden Tage runterzählen.

Diese regelmäßigen Nachrichten signalisieren die Dringlichkeit. Das setzt eine Kette von Reaktionen in Gang. Hier ein paar Mechanismen, wie das in der digitalen Welt von statten geht:

  • Kontinuierliche Updates: Wenn alle paar Stunden Updates oder Erinnerungen geschickt werden, steigt der Stresspegel in der Gruppe, weil sich alle plötzlich unter Beobachtung fühlen. Niemand will diejenige sein, die die Gruppe ‚im Stich lässt‘.
  • Emojis und Satzzeichen: Ein einfaches Fragezeichen oder ein nachdenkliches Emoji kann ausreichen, um die Gruppe in Alarmbereitschaft zu versetzen. Die Subtexte sind oft lauter als die eigentlichen Nachrichten.
  • Timing: Nachrichten, die zu ungewöhnlichen Zeiten versendet werden, signalisieren oft eine „nicht enden wollende Dringlichkeit“, die Stress verursachen kann. 

Was hier passiert, ist eine Art “digitale Ansteckung”. Der Stress wird durch die Nachrichten und Interaktionen in der Gruppe weitergegeben, fast wie ein Staffellauf der Anspannung. 

Die Wirkung ist kumulativ: Je mehr gestresste Nachrichten in der Gruppe auftauchen, desto mehr fühlen sich die Mitglieder verpflichtet, darauf zu reagieren, was den kollektiven Stresspegel weiter erhöht.

Jeder in der Gruppe nimmt diese Signale bewusst oder unbewusst wahr. Die Gruppendynamik kippt, und was als individueller Stress beginnt, wird zu einer kollektiven Belastung.

Und die Ironie? Der Stress könnte vollkommen unnötig sein. Vielleicht würde alles genauso gut laufen, auch ohne die kontinuierliche Dringlichkeit, die vermittelt wird. 

Und auch wenn ich hier von Gruppe spreche, natürlich zieht sich nicht jeder innerhalb der Gruppe diesen Schuh an, aber dazu später mehr.

Klick und weg: Warum Stress-Abbau per Nachricht nicht funktioniert

Warum fühlt es sich manchmal „gut“ an, Stress abzuladen?

Das Bedürfnis, Stress abzuladen, ist ein interessantes Phänomen, das tief in der menschlichen Psyche verwurzelt ist. Wenn wir Stress „abgeben“, etwa durch das Versenden einer dringenden WhatsApp-Nachricht, erleben wir oft einen Moment der Erleichterung. Warum ist das so?

Das hat mit der Art und Weise zu tun, wie unser Gehirn mit Belastungen umgeht. Stress aktiviert das „Kampf-oder-Flucht“-System unseres Körpers, welches urzeitlichen Menschen geholfen hat, schnelle Entscheidungen in lebensbedrohlichen Situationen zu treffen.

Heute sind die Gefahren meist psychologisch oder sozial. Aber das Grundprinzip bleibt: Stress versetzt uns in Alarmbereitschaft, die uns dazu drängt, sofort zu handeln.

Wenn wir in diesem Zustand eine Nachricht abschicken, fühlt es sich an, als hätten wir einen kleinen Sieg errungen.

Wir haben gehandelt!

Die Erleichterung, die wir verspüren, ist also ein neurochemisches High-Five unseres Gehirns: Ein Cocktail aus Dopamin und anderen Neurotransmittern, die das Gefühl der Befriedigung auslösen. 

Aber – und das ist der Knackpunkt – dieses Gefühl ist trügerisch.

Denn das Abschicken der Nachricht löst das zugrunde liegende Problem des Stressors nicht wirklich, es verlagert es nur.

Und in diesem Fall verteilt es den Stress auf andere Mitglieder der Gruppe, die dann ihrerseits einen Weg finden müssen, damit umzugehen. 

Das ist so, als würde man eine heiße Kartoffel herumreichen, in der Hoffnung, sie würde sich so schneller abkühlen. Aber letztendlich hält jeder einmal die heiße Kartoffel in der Hand und denkt: „Warum eigentlich?“

So verführerisch das kurzfristige Gefühl der Erleichterung auch sein mag, es ist nicht die Lösung.

Es ist ein Symptom, ein Zeichen, dass etwas in der Herangehensweise an Stress und Kommunikation überdacht werden sollte. 

Echte Problemlösung und Stressbewältigung erfordern mehr als nur den schnellen Klick auf den „Senden“-Button.

Der Einfluss von Kommunikationsmedien: Wenn Emojis lauter schreien als Worte

Die ausschließlich schriftliche Kommunikation hat ihre eigenen Tücken, vor allem, wenn es darum geht, Nuancen oder Emotionen zu transportieren.

Hier ein paar Gründe, warum  WhatsApp & Co. die Lage manchmal komplizierter statt einfacher machen:

Fehlende nonverbale Hinweise

Ein Augenzwinkern oder ein entspannter Gesichtsausdruck können in persönlichen Gesprächen viel Spannung nehmen. In Textform? Nicht vorhanden. Die Gefahr von Missverständnissen steigt exponentiell.

Ambiguität von Emojis und Satzzeichen

Ein einfaches Fragezeichen oder ein Daumen-hoch-Emoji kann in unterschiedlichen Kontexten ganz verschiedene Dinge bedeuten. Die Mehrdeutigkeit schriftlicher Zeichen fördert Unsicherheit und Stress.

Unausgesprochene Erwartungen

Weil schriftliche Kommunikation weniger Raum für Klarheit lässt, bilden sich schnell unausgesprochene Erwartungen.

Wer antwortet nicht schnell genug? Wer hat die Nachricht schon gelesen, aber noch nicht reagiert? Ein Nährboden für soziale Spannungen.

WhatsApp und Co. können wunderbare Werkzeuge für die Organisation und Kommunikation sein – oder eben nicht.

Je bewusster wir mit diesen Medien umgehen, desto weniger Raum geben wir dem Stress.

Auswirkungen auf die Gruppe: Ein Minenfeld sozialer Spannungen

Wenn Stress in einer Gruppe zirkuliert, wird er zum Katalysator für soziale Spannungen und Konflikte. Und plötzlich verwandelt sich die WhatsApp-Gruppe von einem harmlosen Chatraum in ein soziales Minenfeld.

Soziale Spannungen

Jeder fühlt sich unter Druck gesetzt, die unausgesprochenen, aber lautstark gefühlten Erwartungen der Gruppe zu erfüllen. Dies führt zu einer stillschweigenden Konkurrenz, wer am „engagiertesten“ oder „effizientesten“ ist. Der gemeinsame Fokus geht verloren, ersetzt durch Misstrauen und Ressentiments. Jeder Schritt wird überdacht, jedes Wort auf die Goldwaage gelegt.

Konfliktpotential 

Stress fungiert als Vergrößerungsglas für bestehende Konflikte. Kleinigkeiten können plötzlich zu großen Streitthemen werden. Ein einfaches „Warum wurde das nicht gemacht?“ kann zu einem ausgewachsenen Streit über Verantwortlichkeiten und Prioritäten eskalieren. Es ist, als würde jeder in der Gruppe plötzlich mit einer Lupe herumlaufen und nach Fehlern suchen, nur um die eigene Stresslast zu rechtfertigen.

Sich wie ein kleines Kind fühlen 

Und dann ist da noch dieses Gefühl der Ohnmacht, wo man sich fragt: „Warum tue ich mir das eigentlich an?“ Inmitten des Strudels aus Nachrichten, Erwartungen und Spannungen fühlt man sich plötzlich wieder wie das Kind, das vor dem Lehrerpult steht und sich fragt, warum es überhaupt in diese Lage gekommen ist.

Was Du tun kannst, um mit fremdem Stress umzugehen

… oder auch, warum Menschen unterschiedlich tangiert sind.

Nicht persönlich nehmen

Es ist leicht, sich von der Energie oder den Worten anderer Menschen mitreißen zu lassen. Deshalb: Nimm es nicht persönlich. 

Wenn jemand im Stress ist und das in der Gruppe teilt, geht es meistens nicht um Dich. Es ist der Ausdruck einer persönlichen Überforderung und sollte nicht als Angriff gewertet werden.

Erinnere Dich daran, dass jeder seine eigenen Probleme und Stressoren hat und dass es nicht unbedingt etwas mit Dir zu tun hat, wenn jemand gestresst oder gereizt ist.

Grenzen setzen

Es ist okay, „Nein“ zu sagen oder zumindest „Nicht jetzt“. Wenn Du merkst, dass der Stress der Gruppe Dich selbst belastet, ist es wichtig, Deine eigenen Grenzen zu erkennen und zu reden.

Wenn Du merkst, dass eine Gruppendynamik oder Kommunikationsweise Dir nicht guttut, ist es vollkommen in Ordnung, das zu sagen oder auch mal eine Auszeit zu nehmen.

Manchmal ist der beste Weg, sich nicht stressen zu lassen, einfach ein bisschen Abstand zu gewinnen. Das kann physisch sein, indem Du das Handy weglegst, oder emotional, indem Du Dich innerlich von der Situation distanzierst.

Kommunikation

Anstatt nur den Stressball zurückzuwerfen, versuche, eine Lösung zu finden. Ein einfaches „Ich kann die Deko morgen abgeben, ist das okay?“ kann oft Wunder wirken. Es zeigt, dass Du die Situation ernst nimmst, aber ohne Dich selbst im Stress zu verlieren.

Selbstfürsorge

Ja, das klingt jetzt ein bisschen nach Wellness-Broschüre, aber es ist wahr: Du kannst nur dann effektiv mit externem Stress umgehen, wenn Du selbst im Gleichgewicht bist. Also, nimm Dir Zeit für Dich, atme tief durch und versuche, den Stress nicht zu Deinem eigenen zu machen. 

Gönn Dir eine Pause, tu was, das Dich glücklich macht und Dich ablenkt. Manchmal ist die beste Strategie, den Stress einfach für eine Weile zu ignorieren und sich selbst etwas Gutes zu tun.

Prioritäten setzen

Frage Dich, wie wichtig diese Gruppe oder diese spezielle Kommunikation für Dein Leben wirklich ist. Oft stellen wir fest, dass wir uns über Dinge stressen, die in der großen Lebensskala eigentlich gar nicht so wichtig sind.

Es ist völlig normal, dass man sich in Gruppen manchmal gestresst oder persönlich angegriffen fühlt. Wichtig ist, wie man damit umgeht. 

Durch Selbstreflexion, klare Kommunikation und das Setzen von Grenzen kannst Du lernen, besser mit solchen Situationen umzugehen und sie nicht an Dich heranzulassen.

Fazit

Stress ist wie ein Tropfen Tinte im Wasser; er färbt alles und jeden. Und während ein bisschen Farbe hier und da ja ganz hübsch ist, kann aus einem bunten Farbenspiel schnell eine trübe Brühe werden, in der keiner mehr klar sehen kann.

Vielleicht hast Du Dich in einigen Punkten wiedererkannt, vielleicht auch nicht. Aber lass uns mal ehrlich sein: Wer von uns trägt nicht einen unsichtbaren Rucksack mit sich herum, gefüllt mit Erwartungen, Verantwortungen und auch Stress?

Am Anfang ist dieser Rucksack leicht, aber mit der Zeit wird er schwerer und schwerer und irgendwann fragst Du dich, warum Dir jeder Schritt so mühsam erscheint. 

Warum fühle ich mich nur so gestresst, überfordert und einfach nur erschöpft? 

Vielleicht ist das der Moment, Deinen Rucksack mal genauer zu inspizieren? 

Was kannst Du auspacken, was muss drin bleiben, für was brauchst Du vielleicht Werkzeuge, um besser damit umzugehen?

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